Ergotalkaloide – Vorkommen, Toxizität, Analytik, Höchstgehalte

A. Was sind Ergotalkaloide?
Ergotalkaloide (EA) oder auch Mutterkornalkaloide sind eine Gruppe der Alkaloide. Sie werden auf natürliche Weise von bestimmten Pilzen, z. B. Claviceps purpurea gebildet und kommen vornehmlich im sogenannten Mutterkorn eingelagert vor. Im botanischen Sinne handelt es sich bei Mutterkorn um die Überwinterungsform (Dauermycel, Sklerotium) des Pilzes Claviceps purpurea, der auf den Fruchtknoten von bestimmter Getreidearten wächst und dort an der Stelle der Karyopsen Sklerotien bildet. Weitere gängige Namen sind Purpurroter Hahnenpilz, Ergot, Krähenkorn, Hahnensporn, Hungerkorn oder Tollkorn.


Historie & Namensherkunft
Die Bezeichnung Mutterkorn hängt volksetymologisch mit den alten volkstümlichen Bezeichnungen Kornmutter und Roggenmutter für Winde, die Kornfelder zum Wogen bringen und bewirken sollen, dass dort Mutterkorn wächst, zusammen.
Die ersten Belege zum Vorkommen von Mutterkorn wurden auf das Jahr 600 v. Chr. datiert; auf assyrischen Tontafeln wurden die Sklerotien als „schädliche Gebilde“ beschrieben, weshalb Mutterkornvergiftungen auch als die älteste bekannte Mykotoxikose bezeichnet werden. Der erste belegte, epidemieartige Fall von einer Vergiftung mit Mutterkorn – auch als Ergotismus bezeichnet – trat im Jahr 857 n. Chr. bei Xanten auf. 943 sollen europaweit – vorwiegend in Frankreich und Spanien – etwa 40.000 Menschen einer Mutterkornepidemie zum Opfer gefallen sein. Man bezeichnete die Erkrankung als Antoniusfeuer (benannt nach dem heiligen Antonius) oder auch ignis sacer „heiliges Feuer“. Im Rahmen von Arzneimittelforschungen mit Mutterkorn synthetisierte der Schweizer Chemiker Albert Hoffmann 1938 durch chemische Veränderung der Struktur von Lysergsäureamid das berühmt berüchtigte LSD (Lysergsäurediethylamid).


Die Grundstruktur der EA besteht aus einem tetracyclischen Ergolinringsystem. Je nach Sustitution am C-8-Kohlenstoffatom werden vier verschiedene Gruppen von EA unterschieden. Strukturformeln des Ergolingrundgerüstes ist der Abbildungen 1 zu entnehmen.

Abbildung 1: Ergolinringsytem


B. Wie kommen EAs natürlicherweise vor?
EA sind Mykotoxine, die von verschiedenen Spezies der Gattung Claviceps gebildet werden. In Europa ist Claviceps purpurea der am weitesten verbreitete Vertreter der Gattung. Er infiziert vor allem Getreide, hauptsächlich Roggen, aber auch andere Getreidearten wie Weizen, Triticale, Gerste, Hirse und Hafer können betroffen sein. Der Befall wird durch die Bildung der sogenannten Sklerotien sichtbar; charakteristische dunkel-gefärbte, halbmondförmige Dauerstadien des Pilzes, die aus den Spelzen der Ähren herausragen.
In den Sklerotien von Claviceps purpurea wurden zwölf EAs identifiziert, die zur wissenschaftlichen Bewertung durch die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) 2012 herangezogen wurden: Ergometrin, Ergotamin, Ergosin, Ergocristin, Ergocornin und Ergocryptin (bestehend aus α- und β-Isomer) sowie die korrespondierenden –inin-Formen. Diese EAs gehören bis auf das Lysergsäurederivat Ergometrin in die Untergruppe der Ergopeptine. Die –inin-Formen werden als biologisch inaktiv beschrieben, werden aber mit untersucht, da es beim Verarbeiten, zum Beispiel beim Backvorgang, zu Umwandlungen kommen kann.

C. Wie kommen EA in Lebensmittel?
Ergotalkaloide sind in Lebensmitteln sowie Futtermitteln unerwünscht und treten als Verunreinigung der Ernte auf. Der Gehalt an EAs wird neben den klimatischen Bedingungen vor allem durch agrartechnische Maßnahmen entlang der gesamten Produktionskette beeinflusst. Dazu zählen die Auswahl des Saatgutes, der Anbau, die Selektion der Rohstoffe bis hin zur technologischen Verarbeitung des Getreides. Eine unzureichende Entfernung von Mutterkorn vor der Verarbeitung des Getreides kann zum Beispiel bewirken, dass EAs bei der Vermahlung ins Getreide gelangen. Durch Bruchstücke oder durch Ergotalkaloid-belastete Stäube können jedoch auch nach der Reinigung des Getreides Belastungen mit EAs auftreten.

D. Können EAs ein Gesundheitsrisiko darstellen?
EAs wirken durch ihre Interaktion mit einer Reihe von Neurotransmitter-Rezeptoren, unter anderem adrenergen, dopaminergen und serotonoergen Rezeptoren. Durch diese Interaktion können sowohl akute als auch chronische Symptome beim Menschen auftreten. Abhängig von der aufgenommenen Dosis können leichte bis schwere gesundheitliche Beeinträchtigungen eintreten.
Nach oraler Aufnahme geringer Mengen EAs können akut Symptome wie Übelkeit, Bauchschmerzen, Muskelkontraktionen, Kopfschmerzen, Herz-Kreislauf-Probleme und Störungen des Zentralnervensystems auftreten. Auch kann es bereits bei geringen Aufnahmemengen zu Uteruskontraktionen mit Folgen wie Blutungen oder Abort kommen.
Nach dem Verzehr höherer Mengen sind Symptome wie Durchblutungsstörungen infolge der gefäßverengenden Wirkung insbesondere auf den Herzmuskel, aber auch auf Nieren und Gliedmaßen beschrieben. In der Folge kann es zu Halluzinationen, Krämpfen sowie Lähmungen bis hin zum Tod nach Atem- oder Herzstillstand kommen.
Die EFSA legte 2012 für die Gruppe der zwölf untersuchten EAs eine akute Referenzdosis (ARfD) von 1 µg/kg Körpergewicht (KG) sowie eine maximal tolerierbare tägliche Aufnahmemenge von 0,6 µg/kg Körpergewicht (tolerable daily intake, TDI) fest. Dabei wurde für alle untersuchten EAs das gleiche toxikologische Potenzial angenommen.
Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) bestätigte diese Werte in seiner Stellungnahme vom 7. November 2012 als angemessene Basis für Risikoabschätzungen. Zudem schätzte das BfR das Auftreten unerwünschter gesundheitlicher Wirkungen beim Verzehr eines Roggenbrotes mit einem Gehalt von 59 µg EAs je kg Brot als unwahrscheinlich ein. Bei einem Brot mit einem Gehalt an EAs von 585 µg/kg sind unerwünschte Wirkungen bei Kindern zwischen 2 bis <5 Jahren jedoch bei mittleren bis größeren Verzehrsmengen möglich.

E. Wie werden EAs analysiert? / Datenerfassung der EFSA
Zur Untersuchung der EAs wird als einzige Trennmethode die Flüssigchromatographie beschrieben. Die Detektion erfolgt hierbei in der Mehrzahl der Fälle mittels Tandemmassenspektrometrie (QqQ). Weiterhin findet auch die Fluoreszenzdetektion Anwendung.
Die aktuelle (2017) Datenerfassung durch die EFSA (2011 – 2016) umfasst 6.417 Proben, darunter 4.528 Lebensmittel aus 15 verschiedenen europäischen Ländern. In mehr als drei Viertel der untersuchten Proben konnten kein EAs quantifiziert werden.
Innerhalb der Proben mit mindestens einem quantifizierbaren EA tragen vier EAs am meisten zum Gesamtgehalt bei: Ergotamin, Ergocristin, Ergosin und Ergometrin.
Insgesamt und auch innerhalb jeder untersuchten Lebensmittelgruppe wiesen die untersuchten roggenhaltigen Lebensmittel die höchsten Gehalte an Ergotalkaloiden auf. Jedoch konnte auch gezeigt werden, dass die Kontamination mit EAs nicht nur auf Roggen und roggenhaltige Produkte beschränkt ist, sondern auch andere Getreide wie Weizen, Dinkel, Hafer und Mais betroffen sein können. Die gefundenen Werte waren jedoch im Mittel geringer als bei Roggenprodukten. In den untersuchten Reis-, Hirse- und Buchweizenproben wurden jedoch keine EAs nachgewiesen.
EAs wurden verstärkt in unverarbeiteten landwirtschaftlichen Erzeugnissen und wenig verarbeiteten Lebensmitteln wie Getreidekörnern oder Mehl nachgewiesen.

F. Gibt es Höchstgehalte für EAs in Lebensmitteln? Aktuelle Diskussionen zu Höchstgehalten
Für Ergotalkaloide gibt es im Gegensatz zu anderen Mykotoxinen (z. B. Deoxynivalenol oder Zearalenon) weder auf nationaler noch auf europäischer Ebene eine Höchstgehaltsregelung für getreidebasierte Lebensmittel.
Allerdings wird in der Verordnung (EU) Nr. 1881/2006 zur Festsetzung der Höchstgehalte für bestimmte Kontaminanten in Lebensmitteln ein Höchstgehalt von 0,5 g/kg (0,05%) für Mutterkorn-Sklerotien in unverarbeitetem Getreide außer Mais und Reis festgelegt.
Aktuell werden auf europäischer Ebene mögliche Höchstwerte für Ergotalkaloide diskutiert. Aufgrund der Komplexität der Analytik sollen jedoch bei vielen Produkten zunächst die analytischen Fragestellungen adressiert werden.