Fünf Jahre Acrylamid - Rückblick und Status quo




Fünf Jahre Acrylamid – Rückblick und Status quo

Fünf Jahre sind nun vergangen, seit die Arbeitsgruppe um Margareta Törnquist von der Universität Stockholm berichtete, dass verschiedene stark erhitzte Lebensmittel Acrylamid enthalten. Bei der Entdeckung spielte der Zufall eine nicht unerhebliche Rolle: Die schwedische Gruppe arbeitete daran, Hämoglobinaddukte als Biomarker für eine beruflich bedingte Acrylamidexposition zu etablieren. Als sie die Marker auch in der vermeintlich unbelasteten Kontrollgruppe nachwiesen, begannen sie, gezielt Lebensmittel auf Acrylamid zu untersuchen. Sehr schnell wurde dabei klar, dass Acrylamid Lebensmitteln nicht zugesetzt wird, sondern dass es sich hierbei um einen sogenannten „foodborne toxicant“ handelt – sprich, eine schädliche Substanz, die in einem komplexen Bildungsmechanismus beim Backen, Rösten und Frittieren, nicht aber beim Kochen, im Lebensmittel selbst entsteht.

Der Bildungsmechanismus

Der chemische Bildungsweg von Acrylamid in Lebensmitteln gilt inzwischen als weitgehend aufgeklärt. In mehreren unabhängigen Studien konnte gezeigt werden, dass bei der Erhitzung der Aminosäure Asparagin mit bestimmten α-Dicarbonylverbindungen (reduzierende Zucker, insbesondere Glucose und Fructose) im Rahmen der sog. Maillard-Reaktion große Mengen Acrylamid gebildet werden können (vergleiche hierzu auch LCI-Focus 05/2003 „Die Maillard-Reaktion“). Weiterhin stellte sich in ersten Untersuchungen heraus, dass bei beiden Mechanismen 3-Aminopropionamid (3-APA) eine Schlüsselrolle als Intermediat der Acrylamid-Bildung innehat. Neben der thermischen Bildung von 3-APA aus Asparagin wurde ferner ein biochemischer Bildungsweg, der ohne Mitwirkung reduzierender Zucker und ohne jegliche Hitzeeinwirkung, sondern vielmehr durch Enzyme (sog. Decarboxylasen) abläuft, aufgezeigt.

Neueste Erkenntnisse zur Toxizität

Acrylamid wirkt im Tierversuch krebserzeugend und erbgutverändernd. Für die krebserzeugende Wirkung wurde ein genotoxischer Mechanismus angenommen. Nach neuesten toxikologischen Studien im Modell Humanblut wurde jedoch gezeigt, dass Acrylamid selbst keine Genotoxizität aufweist. Hingegen lassen sich bei dem Metaboliten Glycidamid, der im Körper aus Acrylamid gebildet wird, genotoxische Wirkungen nachweisen. Für eine tragfähige Risikobewertung der Acrylamidexposition beim Menschen werden fortlaufend auf nationaler und internationaler Ebene diverse Studien durchgeführt.

Aktionen in Behörden, Industrie und Forschung

Seit der Entdeckung von Acrylamid sind in Deutschland immense Bestrebungen sowohl vonseiten der Lebensmittelindustrie als auch der Behörden und Forschungseinrichtungen unternommen worden, relevante Erkenntnisse zu gewinnen, um die Gehalte auf breiter Linie zu senken. Weltweit laufen diverse Forschungsprojekte zu Acrylamid in verschiedenen Disziplinen mit unterschiedlichen Ansätzen.
Das EU-weit bisher einzigartige dynamische Minimierungskonzept mit den sog. Signalwerten wurde 2002 zwischen dem BVL (Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit) und den Ländern, der Wirtschaft und dem BMELV (Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz) abgestimmt und soll eine stufenweise aber stetige Absenkung der Acrylamid-Gehalte bewirken (vergleiche hierzu auch LCI-Focus 12/2002 „Minimierungskonzept für Acrylamid in Lebensmitteln“). Die Signalwerte werden in regelmäßigen Abständen durch Datenaktualisierung überprüft und entsprechend angepasst. Bisher hat es sechs Signalwert-Berechnungen gegeben.

Im LCI wurden im Zeitraum 2002–2005 für die einzelnen Fachsparten des BDSI sog. Koordinierungskreise gegründet. Im Rahmen dieser Koordinierungskreise wurde mittels zahlreicher Analysen (insgesamt ca. 18.000) fachspartenbezogen wissenschaftlich-empirische Acrylamid-Forschung betrieben. Auf dem Gebiet der Acrylamid-Analytik mittels LC-MS/MS verfügt das LCI inzwischen über einen herausragenden analytischen Erfahrungsschatz (vergleiche hierzu auch LCI-Focus 1+2/2003 „Acrylamid – Eine analytische Herausforderung“). Die erzielten Ergebnisse und die daraus gewonnenen Erkenntnisse führten zu beachtlichen Minimierungserfolgen.

Ausblick

Durch die von Industrie und Behörden seit April 2002 kontinuierlich durchgeführten Minimierungsmaßnahmen konnten die Acrylamid-Gehalte in Lebensmitteln zum Teil sehr wirksam gesenkt werden. Aufgrund der Vielzahl der betroffenen Lebensmittel und aufgrund der für bestimmte Lebensmittel sehr schwer umzustellenden Technologien wird uns das Thema Acrylamid allerdings wohl auch noch in den kommenden fünf Jahren begleiten.

SÜSSWAREN (2007) Heft 4

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