Tropanalkaloide und Calystegine – Vorkommen, Toxizität, Analytik, Höchstgehalte

A. Was sind Tropanalkaloide und Calystegine?

Tropanalkaloide (TA) sind eine Gruppe der Alkaloide und gehören zu den sekundären Pflanzenstoffen. Sie werden auf natürliche Weise von bestimmten Pflanzen gebildet. Der Name „Tropan“ leitet sich vom Atropin (ein Racemat aus (R)- und (S)-Hyoscyamin) ab, dem Wirkstoff der Tollkirsche (Atropa belladonna), in dessen Molekül es als Strukturelement enthalten ist. Die Gruppe der TA umfasst mehr als 200 Verbindungen, die in verschiedene Untergruppen eingeteilt werden können. Sie sind aufgebaut aus einer Azabicyclo[3,2,1]octan-Ringstruktur, wobei das Tropanskelett am häufigsten vorkommt und der Stickstoff methyliert ist. Ein berühmter Vertreter der TA ist das Cocain, ein Derivat des Ecgonin aus dem Cocastrauch (Erythroxylum coca).

Abbildung 1: Strukturformeln von Tropan und Derivaten










Abbildung 2: Strukturformeln von Atropin


Die erst in den 1980er Jahren entdeckten Calystegine gehören zu der Gruppe der Nortropanalkaloide mit geringem Molekulargewicht und sind aufgrund der mindestens 3 Hydroxylgruppen sehr polar. Derzeit sind rund 14 Calystegine bekannt.

Abbildung 3 Strukturformeln von Calystegin A3, B1 und B2






Wo kommen TAs und Calystegine vor?

TA werden in Pflanzen der Familien Brassicaceae, Moraceae, Erythroxylaceae (Cocastrauch) u.a. gebildet. Vor allem in der Solanaceae Familie (z.B. Alraune, schwarzes Bilsenkraut, Tollkirsche, gemeiner Stechapfel) ist das Auftreten vielfältig, wobei es sich meist um veresterte Tropanolverbindungen handelt. In der Pflanze werden die Tropan-Alkaloide aus Ornithin und Arginin biosynthetisiert.

Die TA sind meist in allen Pflanzenteilen in unterschiedlichen Konzentrationen enthalten. ( ) Hyoscyamin und (-)-Scopolamin (insbes. in Brugmansia, Engelstrompeten) sind die am häufigsten vorkommenden und am besten untersuchtesten Verbindungen der TA.
Calystegine kommen ebenfalls in der Familie der Solanaceaen vor. Besonders in essbaren Pflanzen wie z.B. Solanum tuberosum (Kartoffel), Capsicum annuum (Paprika, Pfeffer), Solanum melongenes (Aubergine) und Convolvulaceae (u.a. Batate) sind sie natürlich vertreten, wobei das Auftretungsmuster und Konzentration der Calystegine für den jeweiligen Pflanzenteil charakteristisch ist. Zum Beispiel sind in Kartoffeln nur Calystegin A3, B2, B4 zu finden und in Auberginen, Pfeffer und Süßkartoffel hauptsächlich das Calystegin B2.


Wie gelangen TA und Calystegine in Lebensmittel?

Tropanalkaloide sind in Lebensmitteln sowie Futtermitteln unerwünscht und treten als Verunreinigung der Ernte durch Unkraut auf. Durch herkömmliche Aufbereitungsschritte von z.B. Getreide kann die Belastung durch die ganze Pflanze, Pflanzenteile oder deren Samen meist nicht vollständig entfernt werden.
Die derzeitige Verunreinigung von Getreide in der EU ist meist auf Datura stramonium (gemeiner Stechapfel) und Convolvulus arvensis (Ackerwinde) zurückzuführen. Außerhalb der EU wurden Verunreinigung in Erbsen, Sojabohnen und Brechbohnen durch Solanumspecies S. nigrum (schwarzer Nachtschatten), S. viarum und S. torvum (Pokastrauch) beobachtet. Mais, Hirse und Weizen können durch das invasive und weit verbreitete Solanum elaeagnifolium kontaminiert werden. Nach der Verarbeitung der verunreinigten Getreide (z.B. Mahlen) gelangen die TA somit in das Lebensmittel. Da die meisten TA hitzestabil sind, kann der Gehalt im Produkt nach Hitzebehandlung weiterhin hoch sein. Die Konzentrationen im Lebensmittel reichen hierbei von <1 bis 100 μg/kg. Calystegine hingegen werden nur in Pflanzen gefunden, von denen sie auch selbst gebildet werden. Dabei sind im essbaren Pflanzenteil Konzentrationen von 1 bis 100 mg/kg möglich.

Können TA und Calystegine ein Gesundheitsrisiko darstellen?

Am intensivsten werden die toxikologischen Wirkungen der TA Atropin und Scopolamin untersucht. Seit der Renaissance bis heute wurden bzw. werden Auszüge der Tollkirsche zur Pupillenerweiterung verwendet. Weiterhin können TA als Drogen missbraucht werden, weil sie ab einer bestimmten Dosierung/Mischung Halluzinationen herbeiführen können.

Die Tropanalkaloide Atropin und Scopolamin sind antimuscarine Agentien, also Antagonisten zum muscarinen Acetylcholin-Rezeptor, wobei nur das (-)-Hyoscyamin aus dem racemischen Gemisch (Atropin) anticholinerge Wirkung aufweist. Das bedeutet, dass sie das parasympatische System (vegetatives NS) hemmen und im zentralen Nervensystem aktiv sind. Meist sind Wirkungen wie Pupillenerweiterung, Mundtrockenheit, verhinderte Harnproduktion, Herzrhythmusstörungen, Reduktion der Schweißproduktion und Erhöhung der Körpertemperatur zu beobachten. Bei höheren Mengen kann es zum Tod durch Herzstillstand kommen.
Aufgrund ihrer zuckerähnlichen Struktur sind Calystegine α-Glucosidase-Inhibitoren und agieren im Intestinaltrakt, wobei sie zu einer verminderten Resorption von Kohlenhydraten führen. Die Glukose-Konzentration im Blut (Blutzucker) steigt dementsprechend unter α-Glucosidase-Hemmern nach einer Mahlzeit weniger stark an, weswegen die Calystegine für eine Behandlung von Diabetes Mellitus Typ 2 in Frage kommen könnten. Intoxikationen mit Calysteginen wurden beim Menschen bislang nicht beobachtet. Die Toxikologie anderer TA ist weitgehend unerforscht, sodass alle TA von der EFSA (Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit) zunächst als toxikologisch relevant eingestuft werden.


Wie werden TA und Calystegine analysiert?

Zur Untersuchung von TA wurden zwei Multi-Analyt LC-MS/MS-Methoden entwickelt. Nach einer Extraktion werden auf zwei unterschiedliche Weisen einmal 24 TA und einmal 6 Calystegine analysiert. Die Quantifizierung erfolgt über externe Kalibriergeraden mit matrixangepassten Standards (MMS). Um den Matrixeffekt auszugleichen werden zusätzlich isotopenmarkiertes (-)-Hyoscyamine und (-)-Scopolamin als interne Standards zudotiert.

Gibt es Höchstgehalte für TAs und Calystegine in Lebensmitteln?

Laut der Verordnung (EU) 2016/239 der Kommission wurde ein Höchstgehalt von 1,0 μg/kg für die am gründlichsten erforschten Tropanalkaloide (-)-Hyoscyamin und ( ) Scopolamin in Lebensmitteln festgesetzt. Dieser gilt für Getreidebeikost und andere Beikost für Säuglinge und Kleinkinder, die Hirse, Sorghum, Buchweizen oder daraus gewonnene Erzeugnisse enthält.

Für die TA-Untergruppe der Calystegine sind derzeitig keine Höchstgehalte festgesetzt.